Verbale Knallkörper

Meta Zweifel, 08.07.2021

Meta Zweifel
Meta Zweifel

Was halten Sie von Streitkultur?

Echt spannend, wie manche Redewendungen mit Vorgängen zu tun haben, die man heute kaum mehr kennt. Der Ausdruck „Halt die Klappe !“, mit dem jemandem barsch das Wort abgeschnitten wird, führt zurück ins klösterliche Leben und in mittelalterliche Klosterarchitektur.

Zu ihren regelmässigen Stundengebeten fanden sich die Nonnen oder Mönche im Chor der Kirche ein und nahmen da im Chorgestühl Platz. Häufig waren die Sitze aufklappbar und an der Vorderkante mit einer Ausbuchtung versehen, auf die sich die Betenden beim langen Stehen etwas abstützen konnten. Stand der Mönch oder die Nonne vom Klappsitz auf, musste der hölzerne Vorsprung, die „Klappe“, sorgfältig gehalten und so geführt werden, dass ein rasches Zurückschnellen des Klappsitzes keinen Lärm verursachen konnte.

Die Verbindung zwischen Klappe und Knall eignet sich gut als bildhafter Vergleich, wenn es um die Kommunikationsebene geht. Lautstarkes Wortgetöse sorgt zwar für Knall und Lärm, wirkt aber oft alles andere als zielführend.

Wenn Widerspruch trendy ist

Man muss an historischen Entwicklungen nicht mal sehr interessiert sein, um zu wissen, was Menschen bewirkt haben, die nicht einfach die Klappe gehalten, sondern lautstark Widerstand geleistet haben. Ohne solche Menschen hätte es keine gesellschaftlichen Veränderungen, weder Reformation noch Revolution

und auch nicht die Zeitphase der Aufklärung gegeben.

Die aktuellen politischen Entwicklungen machen ebenfalls deutlich, wie viele Menschen und Gruppierungen Leib und Leben wagen, um laut und deutlich gegen Repressionen und die Knebelung des freien Wortes zu kämpfen.

Im Vergleich zur wagemutigen Streitbarkeit, wie sie an vielen Orten im Ausland auftritt, wirken hierzulande Demonstrationen zuweilen wie ein modischer Trend. Im Juni fand in Basel eine grosse Demonstration von Frauen statt, die für Gleichstellung warben.

Eine Menge Plakate wurden in die Höhe gerecht, die mehrheitlich mit dem ordinären Unwort „Fuck“ begannen und teilweise abstruse Anliegen und Forderungen zur Geltung brachten. Diese Streit-Darbietungen auf öffentlichem Raum haben vermutlich mehr Antipathie als Sympathie hervorgerufen und das ernsthafte Thema Gleichstellung mit verbalen Knallkörpern vernebelt.

Sage mir, wie Du streitest

Im persönlichen Umfeld wird mit ziemlicher Sicherheit zu oft geschwiegen, statt geredet oder gar gestritten. Um des sogenannten lieben Friedens willen wird geschwiegen – so lange, bis der liebe Friede zu stinken beginnt wie eine Müllhalde. Aber auch mit der Eröffnung „Wir müssen reden“ kommt selten ein konstruktives Gespräch in Gang, sondern diese Ankündigung löst oft geradezu Fluchttendenzen aus.

Das Wort „Streitkultur“ wirkt wie ein feststehender Begriff, umschreibt aber eher einen Prozess. Wie trage ich einem Vorgesetzten meine Forderungen vor, ohne dass er das Gefühl hat, man schenke ihm zu wenig Respekt? Wie kann ich als Mutter oder Vater einem Kind oder einem Jugendlichen Handlungsgrenzen deutlich machen, ohne zu demütigen und jeden Widerspruch mit „Klappe halten!“ abzuwürgen? Wie kann ich lernen, partnerschaftliche Auseinandersetzungen nicht mit dem Standardsatz „Du machst/sagst/tust immer…“ einzuleiten, sondern möglichst ruhig und gefasst zu erklären, wie man sich fühlt und was einem fehlt?

Streiten will gelernt sein – und genauso muss man lernen, wann Schweigen wirklich Gold wert ist. Es kann unter Umständen ganz schön anstrengend sein, auf eine verletzende Bemerkung oder auf den kleinen, aber wohltuenden Triumph der Rechthaberei zu verzichten.

Die Frage „Halte ich meine Klappe aus Feigheit oder geistiger Trägheit, oder weil mir die Vernunft sagt, dass ein Streit unverhältnismässig wäre oder mit meiner Eigensucht zu tun hätte?“ erfordert ein hohes Mass an Selbsterkenntnis und Ehrlichkeit.

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