Kräftig auf die Nase gefallen

Petra Sewing-Mestre, 07.10.2021

Petra Sewing-Mestre
Petra Sewing-Mestre

Mit Krisen ist unser Leben reichlich bestückt, nicht nur in den letzten 1,5 Jahren.

Wenn ich mein – nun inzwischen 58jähriges Leben – so Revue passieren lasse, so gab es etliche dieser zugespitzten, dramatischen Situationen: Ich bin mehrmals so richtig kräftig auf die Nase gefallen, in der Ausbildung, im Beruf, in der Lebensplanung überhaupt.

Biologische Lebenskrisen treffen jeden Menschen, auch mich: Ich bemerke, dass meine Lebensspanne sich zusammenzieht, bin allerdings nicht – wie einige Menschen in meinem Umfeld – in die berühmte Midlifekrise geraten. In diesem Zusammenhang muss ich leider auch wahrnehmen, dass mein Körper die ersten Anzeichen der Alterung zeigt und nicht mehr immer macht, was ich gerne hätte. Und ein besonderer Schicksalsschlag hat mich im letzten Jahr getroffen, als mein Vater starb. Da habe ich die Endlichkeit des Lebens besonders schmerzhaft gespürt.

In den Medien werde ich auf allen Kanälen über weitere Krisen informiert: Aufgrund der gegenwärtigen Pandemie sind die vielen anderen Krisen sogar ein bisschen in den Hintergrund getreten. Fast vermisse ich sie schon ein wenig – die Klimakatastrophe, die Finanzkrise, die Rentenkrise. Und sogar Fussballvereine stecken tief drin, in der Krise.

Vielleicht habe ich auch eine ganz besondere Sensibilität für die permanente Krisenthematisierung in den Medien. Über zehn Jahre habe ich als Fernsehredaktorin bei verschiedenen Fernsehsendern gearbeitet und eines der wichtigsten Auswahlkriterien für die Relevanz von Meldungen in den Nachrichtensendungen war: «Krise zieht immer und bringt hohe Quoten!»

Natürlich erleben wir im Moment eine besonders beeeindruckende und globale Krise, die auch nicht einfach nur wegen hoher Umsatzzahlen herbeigeredet oder hochdramatisiert wird. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen die momentane Situation nur ertragen können, indem sie verzweifelt versuchen, dieser Krise irgendeinen Sinn abzutrotzen.

Völlig klar, wir Menschen sind Verstandeswesen, und so eine unerklärliche Krise fordert unsere Denkmaschine gewaltig. Irgendeinen Sinn muss sie doch haben!

Genau das habe ich auch gemacht, als ich gezwungen war, mein Heimatland zu verlassen. Meine bisher grösste Lebenskrise. Das Unerklärliche war mir damals nur erträglich, indem ich – sehr viel später – einen Sinn für mich finden konnte. Das, was ich damals als vernichtende Umbruchsituation bewältigen musste, hat alle meine bewährten sozialen und persönlichen Verhaltensstrategien auf den Kopf gestellt und ihrer Wirksamkeit beraubt.

Dieses Gefühl haben heute, angesichts der Pandemie, vielleicht wieder sehr viele Menschen.

Ich nicht. Ich habe aus meiner persönlich schwierigsten Krise auch sehr viel gelernt, was mich jetzt schützt. Ich habe zum Beispiel erfahren, dass wir in uns eine Kraft tragen, Krisen zu bewältigen. Wie hätten wir sonst Jahrtausende der Evolution überstehen und meistern können? Denn was ist Evolution anders, als das Potenzial, sich veränderten Umständen auf optimale Weise anzupassen? Wir sind krisenfähig, dafür sind wir gemacht!

Ich habe durch meine Erfahrungen mit den unterschiedlichen Krisen auch noch einen ganz anderen wichtigen Aspekt von Krisen wahrgenommen: ihre Ergebnisoffenheit. Nicht alles, was jetzt als «Krise» deklariert wird, muss auch ganz dramatisch schlecht enden. Krisen können immer auch Anlass für eine Umkehr sein, für einen Richtungswechsel, der neue und bessere Chancen bietet. Das Prinzip der Evolution grüsst auch hier!

Schauen wir mal, wie sich alles entwickelt. Was mich persönlich unglaublich hoffnungsvoll stimmt, ist meine Beobachtung, dass in den Medien, neben der Krise, mindestens ebenso sehr von «Resilienz» die Rede ist, von der individuellen Fähigkeit des Menschen mit Krisen umzugehen. Dass wir über diese überlebenswichtige Kraft verfügen, wird immer mehr Menschen bewusst. Ohne Krise keine Resilienz – alles eine Frage der Perspektive!

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