Im Alltag gelandet

Petra Sewing-Mestre, 27.05.2021

Petra Sewing-Mestre
Petra Sewing-Mestre

Die stetig wachsende Anzahl von Dating- und Seitensprungplattformen zeigt es uns:

Irgend etwas scheint den Menschen zu fehlen, das sie in ihren Beziehungen offensichtlich nicht (mehr) finden, dafür aber bequem und diskret im Internet. Auch «Seitensprung»-Agenturen, die ganz offen mit ihrem Angebot im Namen werben, haben Hochkonjunktur.

Die Statistik liefert dazu die passenden Zahlen: Von den geschlossenen Ehen werden auf Dauer fast 50 Prozent wieder geschieden, weltweit, Tendenz steigend. Heutzutage schmeissen die Paare schneller hin. Der einstige Makel der Trennung, religiös geächtet und ein gesellschaftlicher Skandal, ist heute der Normalfall geworden.

Warum ist das so? Glaubt man den üblichen Umfragen, so träumen 90 Prozent der Menschen von einer dauerhaften Zweisamkeit. Klingt eigentlich ganz romantisch – das sind moderne Partnerschaften allerdings meistens überhaupt nicht mehr. Und das hat viele Gründe. Ich glaube, verantwortlich für diese Entwicklung – neben vielen anderen Gründen - sind vor allem zwei wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen: die «Kultur der Kurzfristigkeit» (ein Begriff, geprägt von dem Heidelberger Psychologen Arnold Retzer) und der Drang nach Selbstverwirklichung.

Was ist genau damit gemeint? Die bekannte Schriftstellerin Ingeborg Bachmann beschreibt in ihrer Erzählung «Das dreissigste Jahr», wie sich die Vielzahl von Möglichkeiten, die man als junger Mensch so vor sich sieht, um den dreissigsten Geburtstag plötzlich einschränkt. Man gerät in Panik und bemerkt plötzlich, dass das Leben tatsächlich endlich ist. Und man hat so vieles noch nicht erreicht. Die eigene Biographie ist der begrenzende Faktor – und dieses verbindliche Gefühl passt so gar nicht in unsere moderne Gesellschaft, in der alles optimiert werden kann und muss, eben auch die Beziehungen.

Wir sind ständig auf der Suche nach Verbesserung. Das haben wir so gelernt, das ist allgemein als richtig anerkannt, denken wir. Wenn die Grundsätze der modernen Ökonomie plötzlich ins Privatleben schwappen, bedeutet das, wir alle sind Optimierer, aber auch Gegenstand der Optimierungen anderer, manchmal eben leider auch Wegoptimierte. Und ganz schnell stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: «Wenn sich alles so einfach optimieren lässt, warum sollte man sich dann mit einer Beziehung abfinden, die zwar funktioniert, aber eben nicht optimal ist?»

In der oben erwähnten Kultur der Kurzfristigkeit hat nichts mehr Bestand für die Ewigkeit: Man kann den Partner genauso schnell ersetzen wie das Auto, zumal wenn auch noch eine lukrative Abwrackprämie lockt. Eine Möglichkeit, die man nicht unbedingt angestrebt hat, die aber jederzeit im Bereich des Machbaren liegt.

Dieser permanente Verbesserungsanspruch kollidiert mit dem zweiten Leitbild dieser Zeit – der Freiheit, sich selbst zu verwirklichen, in der Hoffnung, dadurch sein Glück zu finden. «Höre auf deine innere Stimme» ist der bekannteste Slogan im Prozess der Selbstfindung. Das ist natürlich richtig, so lange damit die Realisierung der persönlichen Bedürfnisse gemeint ist. Die gleiche Parole kann aber auch wie Sprengstoff im pragmatischen Miteinander sein.

In jeder Beziehung machen sich, nachdem die rosaroten Wolken verflogen sind, irgendwann Enttäuschung, Langeweile und vielleicht sogar Frust breit. Genau das zu akzeptieren und bestmöglich damit umzugehen, das ist vielleicht die grösste Kunst in einer langjährigen Beziehung. Die legendäre amerikanische Psychologin und Kolumnistin Joyce Brothers, (Jahrgang 1927), sagte einmal: «Mein Mann und ich haben nie über Scheidung nachgedacht. Über Mord vielleicht schon, über Scheidung nie.» Das ist heute anders. Heute lauert hinter jeder Trennung nicht mehr der vernichtende, rabenschwarze Abgrund, sondern ein Fünkchen Licht am Ende des Tunnels: Könnte ja sein, dass nach der einen beendeten grossen Liebe die noch grössere Liebe auf uns wartet. Womit wir wieder beim Optimierungs-Zwang wären!

Inzwischen gibt es viele Studien, die über Jahrzehnte versuchten, das Geheimnis langandauernder Ehen, wenn es dann überhaupt so bezeichnet werden kann, zu lüften.

Was in all diesen Studien zutage kam, ist eigentlich vollkommen unspektakulär: Den anderen so akzeptieren, wie er ist, anstatt ihn und die Beziehung ständig verbessern zu wollen. Humor, Respekt und die Bereitschaft, die Dinge auch mal laufen zu lassen, wenn es gar nicht läuft, helfen ausserdem dabei.

Klingt unglaublich langweilig und altmodisch. Kann uns aber vielleicht wirklich mal wieder auf den Boden zurückholen und gegen den modernen Trennungswahn helfen. So einfach – so wirkungsvoll!

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