Schreibwerkstatt: Dem Alter ein Schnippchen schlagen

Gerade beendete ich das zweite Semester meiner Weiterbildung und mir war richtig nach Feiern zumute. Meine Freundinnen machten sich unmittelbar nach dem Unterricht auf den Heimweg, ich überlegte mir, wie ich meinen Erfolg einzeln honorieren könnte. Ich packte gerade meine Schulsachen ein, als der Gedankenblitz einschlug: Das Nationenfest am Bodensee, denn die Musik hörte ich schon den ganzen Tag! Beschwingt lief ich dem See entlang Richtung Festgelände. Verschiedenste Nationen präsentierten den Besuchern kulinarische Spezialitäten aus ihrem Land. Ess- und Getränkestände einzelner Kulturen standen schier nahtlos nebeneinander. Die Hafenpromenade verwandelte sich in einen multikulturellen Ort mit frohen Farben, feinen Gerüchen und fröhlichen Gesichtern. Mitten im bunten Treiben stand eine Bühne, auf der verschiedene Show- und Tanzeinlagen zum Besten gegeben wurden. Die perfekte Einladung für mich, meinen erfolgreichen Tag ausklingen zu lassen. Ich mischte mich unter die Leute, war begeistert und sog die fröhliche Stimmung förmlich in mir auf. Bald einmal stand ich nahe der Bühne, denn schliesslich wollte ich miterleben, was auf dem Podium geboten wurde. Der strahlende Gesichtsausdruck einer Frau – bestimmt zählte sie 85 Jahre oder mehr – zog mich regelrecht in ihren Bann. Sie tanzte wie eine Göttin und liess die Jungen neben sich ziemlich alt aussehen. Ich konnte meine Augen kaum von ihr lassen, dermassen entzückte mich ihr ausgelassenes Tun. Die Frau muss meine Blicke gespürt haben, meine Begeisterung, meine Faszination. Sie schaute unter ihrem Hut total verschmitzt zu mir hinüber und tanzte derweil ganz unbekümmert weiter. Die jugendliche Ausstrahlung dieser alten Frau hat mich sehr berührt. Wenn auch der Körper nicht mehr ganz so beweglich wie in jüngeren Jahren, hat sie etwas enorm Wertvolles behalten: Sie tanzt lustvoll durch ihr Leben; im Herzen jung geblieben, strahlt sie pure Lebensfreude aus.

„Wer im Herzen jung geblieben ist, hat dem Alter ein Schnippchen geschlagen“ Annette Andersen