Béatrice Stössel: Ich bringe den inneren Zensor um

Béatrice Stössel, 03.01.2024

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten?
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.

Diese freiheitlichen Gedanken will ich keinesfalls vorbeirauschen lassen. Ganz im Gegenteil, ich will sie einfangen, festhalten, aufschreiben. Wo, wenn nicht beim Schreiben, darf meine Fantasie ungebremst zur Hochform auflaufen? Wo, wenn nicht beim Schreiben, ist alles, wirklich alles erlaubt!

Doch es gibt einen Spielverderber! Der IZ! – Der innere Zensor!

Dieser Moralapostel, dieser literarische Schmalhans, der es nur darauf abgesehen hat, meinem Schreibfluss Handschellen zu verpassen. Der sitzt wie ein Kobold auf meiner Schulter und flüstert mir ins Ohr: Das geht so nicht ... Das darfst du nicht schreiben ... Was für ein Blödsinn hast du jetzt wieder zu Papier gebracht. Seine Kritik wächst mit jeder Zeile und wird zum Ungeheuer, das alles versaut.

Doch beim Schreiben will ich frei sein. Ich brauche weder Bremsklötze im Hirn, noch will ich mich durch ein moralisches Gedankenkorsett hemmen lassen. Ganz im Gegenteil, ich will Freude empfinden, auch wenn ich etwas Deftiges, Intimes, Lustvolles, ganz und gar Unmoralisches zu Papier bringe.

Da hilft nur eines: Ich werde zur Killerin und bringe den IZ um!

Den IZ auszutricksen funktioniert bei mir meistens mit Hilfe der „un-Wörter“: un-seriös, un-glaublich, un-angenehm, un-schön, un-klug, un-gehorsam, solche Worte sind für mich Wegweiser und Inspiration zugleich. Sie helfen mir schlicht und einfach weiterzuschreiben. Die „un-Wort-Liste“ lässt sich beliebig erweitern, aber ungehorsam gefällt mir gerade sehr gut. Wenn ich ungehorsam bin beim Schreiben, dann darf ich alles. Ich erlaube mir, Gestalten zum Leben zu erwecken, die sind: raffiniert, gescheit, einfältig, klug, böse, gemein, unseriös, liebevoll, ketzerisch, artig, bösartig oder was auch immer. Und sie haben Talente oder auch nicht. Egal, es darf einfach alles vorkommen in meiner Geschichte: Liebe, Tod, Herz, Schmerz, Leben, Hexerei, Verzauberung, Erfindergeist, Verzweiflung, Glück, Krisen, Chancen, Verbrechen, Kunst, oder Pech und Cholera. Egal was, wie, wo oder wann. Ob Wahrheit oder Lüge, ob Erfundenes oder Durchlebtes, ICH bin die Königin meiner Gedanken, und der IZ soll in der Hölle schmoren und mich gefälligst in Ruhe lassen mit seinen Einwänden.

Ob meine Texte die Qualität besitzen oder gar dazu taugen, irgendwann einen Platz zwischen zwei Buchdeckeln zu finden, ist - zugegebenermaßen - eine andere Sache. Aber das so beglückend Wohltuende an der Schreiberei ist doch, dass mich niemand dabei bremsen kann. Niemandem ist es gestattet, meinen Gedanken, Wünschen, oder Worten Einhalt zu gebieten, denn: Es bleibet dabei, die Gedanken sind frei!

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